Interview mit einer Tochter von Maria Opitz-Döllinger
„Jetzt gerade!“
In Zeiten des Rechtspopulismus hätte Maria Opitz-Döllinger ihrer Partei bestimmt eine klare Richtung vorgeben können, ist Claudia Opitz-Belakhal als eine Tochter der Namensgeberin der neuen ÖDP-Stiftung überzeugt. Sie erinnert im Gespräch an die politische Arbeit ihrer Mutter und deren Wirken für die Umweltbewegung und die ÖDP.
Prof. em. Dr. Claudia Opitz-Belakhal war bis Anfang 2023 Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Basel. Sie ist die dritte Tochter von Maria Opitz-Döllinger und war, animiert durch das Engagement ihrer Mutter, zeitweise auch Mitglied bei den Grünen. Heute ist sie parteilos, aber weiterhin an ökologischen und gesellschaftspolitischen Themen sehr interessiert. Für den Newsletter zur Gründung der neuen parteinahen Stiftung, die den Namen ihrer Mutter trägt, beantwortete sie uns Fragen.
Frau Prof. Opitz-Belakhal, die ÖDP benennt ihre Parteistiftung nach Ihrer Mutter: Ist das für Sie eher eine Ehre oder vielleicht auch eine Bürde?
Claudia Opitz-Belakhal: Das ist ganz zweifellos eine große Ehre für meine Schwestern und mich. Wir finden einerseits, dass die Stiftung ganz im Sinne unserer Mutter ist, die sich sicherlich auch sehr darüber gefreut hätte und sich auch geehrt gefühlt hätte. Wir teilen andererseits auch selbst die Ziele der ÖDP und ihrer Stiftung weitestgehend und sind daher gerne auch bereit, unseren Namen dafür zur Verfügung zu stellen.
Ihre Mutter engagierte sich seit den späten 1970er-Jahren für die Umweltpolitik in Deutschland: Erinnern Sie sich daran und wenn ja, woran zum Beispiel?
Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen und Projekten, die meine Mutter damals mit auf die Beine gestellt hat, beispielsweise eine Erzeuger-Verbraucher-Initiative im Bodensee-Kreis, um Bauern, die ökologisch produzieren wollten, zu unterstützen. Dann gründete und betrieb sie als Vorsitzende des Ortsvereins des Deutschen Hausfrauen-Bundes, eine Beratungsstelle für Hauswirtschaft, um Frauen zur Nutzung ökologisch unbedenklicher Produkte, etwa tensidarmer Waschmittel, zu bewegen. Vor allem aber engagierte sie sich schon sehr früh in Bürgerinitiativen gegen Atomenergie und ist von da aus dann mehr oder weniger direkt in die Politik eingestiegen.
Sie engagierte sich schon sehr früh in Bürgerinitiativen gegen Atomenergie und ist von da aus dann mehr oder weniger direkt in die Politik eingestiegen.
Was war ihr an der „Ökobewegung“ wichtig?
Sie kannte den Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ von 1972 und war erschüttert über die düstere Zukunftsprognose, die darin beschrieben wurde. Als überzeugte Christin wollte sie unbedingt die Schöpfung bewahren und das bedeutete für sie, sich politisch gegen die ungebremste Ausbeutung der Natur, gegen die langfristige Bedrohung durch die Kernenergie-Produktion und schließlich auch für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen einzusetzen. Für sie ging die Initiative dabei von jedem und jeder Einzelnen aus – also im Kleinen (in der Familie, im Haushalt, in der Gemeinde) beginnen und Ernst machen mit ökologischem Handeln – und dann aber auch gemeinsam mit anderen Menschen größere Ziele verfolgen und erreichen.
Ihre Mutter gehörte sozusagen zum „Urgestein“ der ÖDP und war u. a. für die Finanzen der Partei zuständig: Welche politischen Ziele hat sie darüber hinaus verfolgt und vertreten?
Sie war einerseits eine überzeugte Idealistin – wie schon erwähnt, wollte sie die Schöpfung retten. Andererseits war sie eine sehr politisch denkende und nüchterne Strategin und hat klar gesehen, dass mit Bürgerinitiativen allein „kein Staat zu machen ist“. Politik bedeutete für sie vor allem, im Rahmen von Parteiarbeit für Gesetzesinitiativen zu sorgen, die bessere Rahmenbedingungen für das individuelle Handeln im Alltag – etwa von Bauern, Verbrauchern, Kfz-Nutzern etc. – ermöglichen würden. Sie war durchaus auch gesellschaftspolitisch sehr engagiert, etwa gegen Rassismus oder gegen Frauen-Diskriminierung.
Aber als sie bei den Grünen einen für ihren Geschmack allzu deutlichen Linksruck erkennen musste, trat sie dort aus und sorgte für die Gründung einer weniger radikalen grünen Partei, der ÖDP.
Sie sorgte für die Gründung einer weniger radikalen grünen Partei, der ÖDP.
Sie war auch Gegenpol zu Herbert Gruhl (u. a. setzte sie sich für die Abgrenzung gegen Rechtsaußen ein): Haben Sie an diesen Zwist eine Erinnerung und wenn ja, welche? Das Thema ist ja heute so aktuell wie seinerzeit.
Oh ja, der Rechtsruck, den Herbert Gruhl und einige seiner Parteifreunde in der ÖDP damals versuchten durchzusetzen, war in unserer Familie durchaus ein Thema. Vor allem ist mir die Erschütterung und Empörung deutlich in Erinnerung, die sie angesichts des Wandels seiner Vorstellungen von ökologischer Politik hin zu einem „nationalen“ Projekt empfand. Er war ja wie sie Mitbegründer der ÖDP und ein wichtiger Vordenker gewesen mit seinen Büchern (z. B. „Ein Planet wird geplündert“ von 1975)…
Wie hat sie reagiert?
Sie wollte um keinen Preis die von ihr so hochgeschätzte Partei in diese Richtung abgleiten sehen – und war dann sehr glücklich, dass es gelang, Gruhl und seine Parteifreunde auf relativ elegante Weise kaltzustellen, indem man ihn zum Ehrenvorsitzenden ernannte und damit von der Parteiführung „weglobte“. Wenn das nicht gelungen wäre, hätte sie selbst mit Sicherheit die ÖDP verlassen. Sie kannte rechte Politik und ihre Folgen aus ihrer eigenen Jugend nur allzu gut und war eine energische Gegnerin jeglicher Verherrlichung oder auch nur Verharmlosung nationalistischer Ideen und Ideale.
Sie war eine energische Gegnerin jeglicher Verherrlichung oder auch nur Verharmlosung nationalistischer Ideen und Ideale.
Was glauben Sie, würde Ihre Mutter heute sagen, wenn sie hörte, dass die ÖDP-Stiftung ihren Namen trägt?
Wie schon eingangs erwähnt, wäre sie sicherlich sehr geehrt durch diese Namensgebung. Sowohl Bildung wie auch politisches Engagement waren ihr sehr wichtig, wohl auch, weil sie selbst, aus kleinen Verhältnissen stammend, als Kind keine guten Bildungschancen hatte und sich deshalb ihr Leben lang autodidaktisch weiterbilden musste. Und Ökologie war zweifellos das wichtigste Thema ihrer zweiten Lebenshälfte. Eine Stiftung, die der politischen Bildung im Bereich der Ökologie gewidmet ist, ist insofern ganz und gar in ihrem Sinn und hätte sie sicherlich begeistert!
Ihrer Mutter wird u. a. auch der damalige baden-württembergische Achtungserfolg bei der Wahl von 1988 zugeschrieben: Was denken Sie, würde sie heute ihrer Partei empfehlen, um endlich ähnliche Wahlergebnisse einzufahren?
Wahrscheinlich würde sie sagen, dass gerade der derzeitige Rechtsruck in der politischen Landschaft und die überall geäußerte Kritik an der Ampel-Koalition und den Grünen umso mehr eine moderate ökologische Partei erfordert, die ökologische Politik auf verständliche Weise betreibt und auch für Menschen wählbar ist, die sich von den teilweise sehr exaltierten [Red.: aufgeregten bzw. künstlich übersteigert] und auch populistisch geführten Debatten am rechten und linken Rand des Politikspektrums abgestoßen fühlen. Sie würde sicher für ein energisches „Jetzt gerade!“ plädieren!
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Weitere Informationen zur Namensgeberin der Maria Opitz-Döllinger Stiftung.