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Drei Fragen an Jeyaratnam Caniceus

„Flüchtlingsstrom lässt auch bei unvorstellbaren Restriktionen nicht nach“

1. Herr Caniceus, Sie sind einst über die DDR in die damalige Bundesrepublik geflohen. Warum sind Sie damals diesen Weg gegangen und haben Sie diesen Schritt schon einmal bereut?

Jeyaratnam Caniceus (JC): 1985 intensivierte sich der Bürgerkrieg in Sri Lanka. Ich war damals 18 Jahre alt und konnte mich kaum frei bewegen. Fast jeden Tag gab es Anschläge, Morde und Massenverhaftungen. Ich konnte meine 15 Kilometer entfernte Schule nicht regelmäßig besuchen. Die Abiturprüfung stand kurz bevor, aber ohne regelmäßigen Schulbesuch hatte ich keine Hoffnung, diese zu bestehen. Bis zuletzt versuchte ich, im August an meiner Abiturprüfung teilzunehmen, was jedoch nicht möglich war.

Aus diesem Grund entschied ich mich, das Land zu verlassen. Zusammen mit meinen Cousins und Cousinen floh ich nach Deutschland bzw. suchte dort Zuflucht. Da die Bundesrepublik Deutschland die DDR als Staat nicht anerkannt hatte, erlaubte die BRD deswegen die Einreise von Menschen aus Ostberlin nach Westberlin, trotz bestehender Grenzkontrollen. Deshalb konnten wir legal nach Westberlin einreisen.

Mein Vater wohnte in Tönisvorst, weshalb ich von Berlin aus zu meinem Vater zog. Am Anfang gab es viele Enttäuschungen. Ich konnte weder arbeiten, noch die Schule besuchen, da ich für die Schulpflicht zu alt war. Auch geregelte Sprachkurse gab es nicht. Es gab ein jahrelanges Arbeits-, Studien- und Ausbildungsverbot. Das war eine sehr schwierige und enttäuschende Zeit für mich.

Erst nach vier Jahren durfte ich, durch Zufall und dank vieler Kontakte, meine Ausbildung als Elektroinstallateur beginnen.
 
2. Wie beurteilen Sie das sogenannte gemeinsame europäische Asylsystem?

JC: Wir müssen mit Sicherheit das Sterben im Mittelmeer und das elendige Leben in nordafrikanischen Ländern beenden. Tag für Tag wiederholen sich unvorstellbare Tragödien in diesen Gebieten.

Der Asylkompromiss wirft jedoch Fragen auf, ob er dieses Elend und Sterben beenden kann. Europa möchte seine eigenen Grenzen und sich selbst vor Verantwortung schützen, zeigt jedoch kein Interesse an dem, was an seinen Außengrenzen geschieht. Das Asylverfahren in Drittländern mag juristisch vertretbar sein, aber es ist menschlich untragbar und ein Widerspruch zu einem christlichen Wertefundament in Europa.

Warum können wir in Europa nicht ein schnelles und rechtsstaatliches Asylverfahren garantieren? Warum dauert alles so lange? Es ist ein Kniefall der Konservativen vor rechtspopulistischen Kräften in Europa.

Aufgrund von Krieg und Klimawandel werden Menschen aus diesen Regionen weiterhin nach Europa fliehen. Insbesondere junge Menschen, die über Kraft und Ausdauer verfügen, werden zunächst an den europäischen Außengrenzen ankommen.

Ich verfolge seit 40 Jahren die Flüchtlingspolitik. Es gab zahlreiche und unvorstellbare Restriktionen gegen Flüchtlinge. Aber der Flüchtlingsstrom hat auch nach Jahren nicht nachgelassen. Das zeigt, dass wir die wahren Ursachen angehen müssen.

3. Sie kandidieren für die ÖDP für das EU-Parlament. Was würden Sie als Mitglied des Europäischen Parlaments unternehmen, um den Zustrom an Flüchtlingen in die EU zu begrenzen?

JC: Wir sollten den Export unserer überflüssigen Waren und des Wohlstandsmülls nach Afrika verbieten oder überdenken. Afrikanischen Regionalprodukten sollte ein gerechter Zugang zum europäischen Markt gewährt werden. Wir müssen auch vorsichtig sein: Für die seltenen Erden in Afrika, die für die Energiewende benötigt werden, dürfen keine Kriege ausbrechen, da dies wiederum Flüchtlingsströme verursachen kann. Sie dürfen auch nicht durch Sklavenarbeit gewonnen werden. Zudem sollten wir aufhören, europäische Fischerboote die afrikanischen Meere leerfischen zu lassen.

Zum Schluss möchte ich zwei unkonventionelle Ideen vorschlagen: Vielleicht könnten wir in den Ländern Afrikas oder Asiens Berufsschulen nach deutschem Vorbild eröffnen und dort Menschen ausbilden. Dadurch könnten die dort ausgebildeten Jugendlichen als reguläre Arbeitskräfte und Fachleute nach Europa kommen und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten.

Zudem möchte ich, dass Menschen aus Afrika die Möglichkeit haben, fair und legal nach Deutschland und Europa zu kommen, um hier einmal im Jahr für drei bis vier Monate Geld zu verdienen und dann wieder zurückzukehren.

    Veröffentlichungen von und über Jeyaratnam Caniceus

    • MDR Zeitreise, Film über die Flucht von Jeyaratnam Caniceus (YouTube)
    • Echte und vorgeschobene Fluchtgründe, Expertendiskussion mit Jeyaratnam Caniceus und Wilhelm Dräxler (YouTube)
    • WDR Lokalzeit, Einsatz von Jeyaratnam Caniceus für die Tradition des St. Martin Zuges (YouTube)

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