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Deutsche Auto-Industrie betreibt Raubtier-Lobbyismus

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch über den Einfluss der Auto-Industrie auf die Politik und mögliche Lösungen

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), ist bekannt für die Aufdeckung und Verfolgung des Dieselgate-Skandals und zahlreiche erfolgreiche gerichtliche Auseinandersetzungen. Seine jahrzehntelangen bitteren Erfahrungen mit der Hörigkeit führender Politikerinnen und Politiker hat er in seinem Buch „Druck machen“ zusammengefasst. Er fordert öffentlich, auch im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wir brauchen mutigere Politikerinnen und Politiker.“
Die deutsche Automobil-Industrie zählt laut Jürgen Resch „zu den wahren Machtzentralen der deutschen Politik, die diese nicht nur beeinflussen, sondern aktiv gestalten“. In der deutschen Industriepolitik spiele dieser Zweig eine Sonderrolle und agiere „unglaublich selbstbewusst, nur vergleichbar mit der Öl- und Gasbranche bzw. chemischen Industrie“. Jüngstes Beispiel sei der Vorstoß des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer: Er hat gerade gefordert, zugunsten der heimischen Auto-Konzerne Strafzahlungen wegen hoher CO2-Emissionen auszusetzen.

E-Fuels keine ernstzunehmende Alternative

Nach der Einschätzung von Jürgen Resch betreibt die deutsche Automobil-Industrie eine „massive Lobbyarbeit gegen die Transformation weg vom Verbrenner“. Spätestens 2030 müssten die Auto-Konzerne jedoch nach der Berechnung der DUH auf Elektro-Fahrzeuge umsteigen, weil sonst aufgrund der üblichen zehn- bis zwölfjährigen Nutzungsdauer der Flottenverbrauch an Treibhausgasen zu hoch werde und die geltenden Klimagas-Verpflichtungen nicht einzuhalten sind. Dabei gebe es keine ernsthafte Alternative in Form von E-Fuels – aufgrund fehlender Energieeffizienz: Für diesen Treibstoff müsste ungefähr siebenmal so viel Energie aufgebracht werden, wie wenn Wind- oder Solarstrom direkt zum Antrieb von Elektrofahrzeugen verwendet würde.

„Die erneuerbare Energie muss so effizient wie irgend möglich genutzt werden, um die fossilen Energieträger wie Öl und Gas oder die Kohle zu ersetzen. Und wir brauchen dringend günstige Speichertechnologien.“

Es gebe nun mal physikalische Gesetzmäßigkeiten wie die Schwerkraft oder das Energieerhaltungsgesetz: Bei der Herstellung von E-Fuels als Treibstoff komme es daher zu unglaublichen Verlusten.

Aufgrund der ineffizienteren Umwandlungen nutzt auf der ganzen Welt nur Brasilien Methanolanlagen, für die Zuckerrohr angebaut wird. „Pflanzliche E-Fuels wie die gerade bei uns eingeführten HVO-Kraftstoffe haben eine ungleich schlechtere Energiebilanz als etwa Freiflächen-Photovoltaikanlagen und führen insgesamt nicht zu niedrigeren sondern sogar zu erhöhten Klimagas-Emissionen.“

Was passieren muss, passiert nicht in Deutschland

Was also wäre zu tun? Seitens der Politik müssten im Automobilsektor klare finanzielle Anreize für effiziente reine Elektro-Pkws und eine hohe Besteuerung klimaschädlicher Diesel- und Benzin-Pkws geschaffen werden. Positive Beispiele dafür sind Länder wie Norwegen oder Frankreich: In Frankreich, betont Resch, würden für einen Mittelklasse-SUV wie den BMW X5 wegen seiner CO2-Emissionen und seinem großen Gewicht bei der Zulassung Strafsteuern in Höhe von rund 77.000 Euro fällig. „Hätten wir eine ähnliche Klimabesteuerung wie in Norwegen oder Frankreich, wäre in Deutschland schlagartig der Boom immer größerer Klimakiller-SUVs beendet.“

Ganz anders dagegen die Situation in Deutschland: Gerade die Fahrzeuge mit den höchsten Klimagasemissionen erhalten die absolut höchste staatliche Förderung. So kostet der Porsche 911 GT3 RS neu 325.000 Euro. Bundesfinanzminister Lindner übernimmt bei Firmen und Freiberuflern bis zu 192.000 Euro vom Kaufpreis. Kein Wunder also, dass 97 Prozent der im Jahr 2022 neu zugelassenen Porsche 911 GT3 RS gewerblich zugelassen wurden. „In Deutschland gilt die weltweit einzigartige Regelung, dass der Staat nicht nur in der Fördersumme unbegrenzt Kauf oder Leasing mit bis zu 59 % fördert, sondern dass zusätzlich Fahrzeuge mit hohen Klimagasemissionen höher subventioniert werden als effiziente Modelle“, resümiert Jürgen Resch.

Die Deutsche Umwelthilfe fordert eine Beschränkung der Dienstwagen-Absetzbarkeit auf Modelle mit effizientem reinen Elektroantrieb, die den EU-Grenzwert von 95 g CO2 pro km einhalten. „Die deutsche Automobilindustrie kassiert Milliarden Euro durch diese absurde Dienstwagenregelung aus der Staatskasse und so verwundert es nicht, dass mehr als zwei Drittel der jährlich knapp 3 Millionen Neuzulassungen gewerblicher Natur sind."

„Seit Anfang dieses Jahres werden klimaschädliche Diesel- und Benzin-Stadtpanzer mit Plugin-Zusatzmotor bis 70.000 Euro Kaufpreis wie ein reines Elektrofahrzeug steuerlich betrachtet.“

Diese absurden finanziellen Anreize für Diesel- und Benzin-Pkws haben dazu geführt, dass in Deutschland seit diesem Jahr 90 % der Neufahrzeuge einen Verbrennungsmotor haben.

„In Frankreich gibt es für Dienstfahrzeuge eine Obergrenze der steuerlichen Absetzbarkeit von 30.000 Euro, zulässig sind nur Fahrzeuge mit relativ niedrigen CO2-Emissionen.“ Zudem drohten erhöhte Strafzölle bis 90.000 Euro und eine Strafsteuer im laufenden Betrieb, sodass Klima-Killer unrentabel werden.

Resch fordert ein Ende des „Raubtier-Lobbyismus“

Jürgen Resch fordert ein Ende der Fernsteuerung unserer Bundes- wie der 16 Landesregierungen durch große Industriekonzerne. Eine Maßnahme ist die Herstellung der Transparenz aller Kontakte zu Regierungspolitikern und staatlichen Einrichtungen, diese müssten „absolut öffentlich“ sein. „Selbst dort, wo wir bereits ein Recht auf Akteneinsicht haben, müssen wir erst klagen und bis zu drei Jahre auf ein rechtskräftiges Urteil warten, um diese Einsicht zu erhalten.“ Der Klageweg zum Bundesverwaltungsgericht habe sogar fünf Jahre im Fall des VW-Dieselgate gebraucht. Der Konzern habe damit argumentiert, dass ihm ein Milliardenschaden drohe, würde die DUH bestimmte Akten einsehen, in denen VW einen Klimagasbetrug bei knapp einer Million Fahrzeugen einräumte.

Gäbe es eine solche Transparenz, wie sie in den USA selbstverständlich ist, würden nicht noch immer über 8 Millionen Besitzer von Diesel-Pkw mit betrügerischen Abschalteinrichtungen auf ihre Entschädigung und kostenfreien Einbau einer funktionierenden Abgasreinigung warten. Die Kosten würden zudem keinen Hersteller in seiner Existenz gefährden und sind mit einem Teil der aktuellen Jahresgewinne der Autokonzerne abgegolten. Die Transparenz wird mit dem absurden Argument des zu schützenden „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses“ verweigert. In einem früheren Verfahren der DUH zu vergifteten Kindersäften urteilten die Gerichte, die Messwerte von Giftstoffen in Lebensmitteln seien kein schützenswertes „Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis“.

In den USA dagegen sei das betrügerische Verhalten von VW, Audi, Porsche und Mercedes-Benz von den Behörden festgestellt und seien alle Unterlagen veröffentlicht worden – die betroffenen Fahrzeuge mussten stillgelegt oder nachgerüstet werden, die Kunden erhielten unbürokratisch eine Entschädigung. Die DUH klage nun im neunten Jahr gegen die Bundesregierung auf eine identische Regelung in Deutschland. Doch obwohl sie bis zum Europäischen Gerichtshof gewonnen hat, kämpfe das Verkehrsministerium gemeinsam mit den betroffenen Autokonzernen darum, ein rechtskräftiges Urteil in Deutschland, das nicht anders ausgehen wird, um weitere Jahre zu verzögern. Die DUH setzt sich für die saubere Luft in unseren Städten ein. Dafür müssen endlich die Diesel-Fahrzeuge eine auch im Winter funktionierende Bremse für Luftschadstoffe erhalten. Durch die unterbliebene Nachrüstung hätten tausende oder gar zehntausende von Werkstätten sinnvolle Aufträge erhalten und davon profitiert.

„Wenn zigtausende Menschen etwa an den Folgen der Abgase oder des Feinstaubs sterben, ist das offenbar in Deutschland ein Kavaliersdelikt.“

Das hinhaltende Taktieren des aktuellen Bundesverkehrsministers Volker Wissing beurteilt Jürgen Resch sarkastisch: „Wissing betreibt wie seine CSU-Vorgänger keine eigenständige Verkehrspolitik, sondern exekutiert die Vorgaben aus den Konzernzentralen von BMW, Mercedes und Volkswagen. Das sieht man eindrucksvoll am Beispiel Dieselgate und der Weigerung, über acht Millionen betrogenen Dieselkunden zu helfen.“

EU-Kommission: Euro 7 bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt

Ganz im Sinne der deutschen Automobilindustrie handele die amtierende Ampel-Bundesregierung auch bei den Vorschriften für zukünftige Diesel- und Benzinmotoren. Mit Euro 7 sollten die Schadstoff-Emissionen endlich auf das technisch mögliche Niveau abgesenkt und insbesondere auch die Feinstaubemissionen durch Bremsbeläge und Reifenabrieb begrenzt werden. Jürgen Resch: „Diese Emissionen nehmen mit den immer schwereren Fahrzeugen zu.“

„Neben technischen Lösungen brauchen wir zur Verringerung der gesundheitlichen Folgen leichtere Fahrzeuge – auch bei den rein batterieelektrischen Pkws.“

Die ursprünglich geplanten, auch z. B. vom ADAC geforderten Verschärfungen gegenüber dem aktuellen Standard Euro 6, hätten pro Auto Mehrkosten von 100 bis 150 Euro verursacht. Doch es ist den Autokonzernen gelungen, selbst den grünen Wirtschaftsminister Habeck dazu zu bewegen, sich für eine drastische Entschärfung der Abgasvorschriften gegenüber der EU einzusetzen. Erneut sei es den Raubtierlobbyisten der Autokonzerne gelungen, Umweltstandards zu senken und Profite weiter zu maximieren.

„Selbst wenn Millionen Wähler nachweislich von Industriekonzernen betrogen werden, wagt es keine Bundes- oder Landesregierung, deren Interessen gegenüber der Automobilindustrie durchzusetzen“ – für Jürgen Resch „ein eindrucksvoller Beleg für das Staatsversagen und gleichzeitig für die Notwendigkeit, dass die Zivilgesellschaft über die Öffentlichkeit und die Gerichte Druck macht.“

Kontraproduktive Industrie-Politik

Die deutschen Auto-Konzerne haben damit aber nicht nur Mensch und Natur geschadet – mit ihrem „Raubtier-Lobbyismus“ haben sie nach Einschätzung von Jürgen Resch auch ihr eigenes Grab geschaufelt: „Mit ihrer Fixierung auf den Verbrenner und ihrem Verzicht auf die Entwicklung konkurrenzfähiger Elektrofahrzeuge haben sie den Anschluss an die neue Entwicklung im Rest der Welt verpasst. Äthiopien verbietet ab 2025 die Einfuhr von Verbrenner-Pkws. Deutsche Elektro-Pkws sind in China und in den USA unverkäuflich.“

Wie reagiert die Politik? In trauter Gemeinsamkeit torpedieren FDP, GRÜNE und SPD den Green Deal, durchlöchern den europaweit beschlossenen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2035 durch die absurde Gleichstellung von E-Fuels mit Elektrofahrzeugen und nun sollen kostengünstige elektrische Pkw-Kleinwagen, die von deutschen Herstellern nicht mehr hergestellt werden, durch hohe Importzölle verteuert werden. Jürgen Resch resümiert: „Wir brauchen endlich Regierungspolitiker, die den Mut haben, sich für die Menschen, unsere Natur und den Klimaschutz einzusetzen und die Fernsteuerung ihrer Politik aus den Konzernzentralen der Öl-, Auto- und Chemieindustrie beenden.“

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