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Artenvielfalt in Gefahr

Zeit für konsequentes Handeln in der EU

Auf Einladung des Stadtverbands München forderten die Europa-Abgeordnete Manuela Ripa und der 1. Vorsitzende des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), Dr. Norbert Schäffer, eine konsequentere Arten-, Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik der EU. Beide warnten vor einem Rückfall in die Politik der 70er Jahre. Danach stellten sich beide Referenten den Fragen des Moderators, Steffen Gölzner, und des Publikums.

„Erst wurde alles abgeschwächt, dann haben sie es auch noch abgelehnt“, fasste Manuela Ripa, die bisher einzige Abgeordnete der ÖDP ihre oft frustrierenden Erfahrungen im EU-Parlament zusammen. „Gesunde Böden sind überlebenswichtig. Diese könnten eher zu Ende gehen als Erdöl.“ Dennoch hätten die Christdemokraten im EU-Parlament gemeinsam mit rechtspopulistischen Parteien „eine regelrechte Kampagne“ etwa gegen das überfällige Renaturierungsgesetz gefahren. Anfangs habe der Fraktionsvorsitzende der Christkonservativen sogar seiner Schattenberichterstatterin verboten, an den vorbereitenden Verhandlungen dafür teilzunehmen.

Wissenschaftler ohne Wirkung

Selbst ein offener Brief, unterzeichnet von über 6000 Wissenschaftlern und Agrarverbänden, hätte die Gegner dieses Gesetzesvorhaben nicht dran gehindert, mit „absoluten Falschbehauptungen, wie: Dieses Gesetz bringt unsere Ernährungsgrundlage in Gefahr“ aus wahltaktischen Gründen zu argumentieren. „Das Gesetz, extrem abgeschwächt, hängt inzwischen im Rat.“ Nur noch als Empfehlung sei die Nutzung von Industriebrachen vorgesehen. Aktuell plant ein Automobilkonzern in Bayern eine neue Fabrik auf bestem Ackerboden. „Ein Batteriemontagewerk auf dem fruchtbarsten Ackerboden – das ist absolut unverantwortlich!“

Dennoch seien wichtige Vorgaben für den Erhalt der Artenvielfalt in Europa noch enthalten. Ripa: „Ohne das Gesetz geht es nicht!“

Nach wie vor fehle ein Plan gegen Dürre: „Die Kommissionspräsidentin von der Leyen hat wenigstens eine Strategie versprochen. Aber – wie so vieles – verschoben.“

Pestizidverordnung zum Schutz der Artenvielfalt? Fehlanzeige!

Die Pestizidverordnung, die bis 2030 die Hälfte dieser Stoffe einsparen sollte, „die erwiesenermaßen der Gesundheit und der Artenvielfalt schaden“, habe es „noch nicht einmal durchs Parlament geschafft“, beklagte Ripa. „Im städtischen Hausstaub wurden bis zu 80 verschiedene Pestizide gefunden.“ Niemand könne bisher die Folgen abschätzen, sie selbst reinige seit dieser Erkenntnis ihr Haus noch gründlicher als zuvor von Staubpartikeln.

Grüne Gentechnik durchgepeitscht

Besonders erzürnte die einzige EU-Abgeordnete aus dem Saarland die von der Kommission geplanten Erleichterungen der grünen Gentechnik. Bis zu 20 Veränderungen sollen künftig „ohne Risikoüberprüfung, ohne Umweltprüfung“ möglich werden – obwohl es an Langzeitstudien und einer sonst immer gern geforderten Sicherheitsbewertung fehle. „Nicht einmal eine Kennzeichnungspflicht für diese gentechnisch veränderten Lebensmittel ist vorgesehen“, ein Widerruf der Genehmigung durch die Behörden ebenso wenig. Dieses Gesetzesvorhaben sei, entgegen der üblichen Praxis binnen weniger Monate „durchgepeitscht“ worden – offenbar als Folge des unguten Einflusses von Interessensgruppen. Die Gefahren für die Umwelt und ökologische Landwirtschaft seien noch gar nicht abschätzbar.

Da die ÖDP als einzige Partei seit Jahrzehnten konsequent nur Spenden von Einzelpersonen annehme, sei sie selbst vor einigen Jahren eingetreten. Das müsse auch unbedingt so bleiben: „Nur wer keine Spenden von Firmen und Verbänden nimmt, kann unabhängig entscheiden.“

EU als Bollwerk für den Artenschutz

Ähnliche Töne schlug nach Manuela Ripa der LBV-Vorsitzende an, der einem bereits rund 120.000 Mitglieder zählenden Verband vorsteht und die Veranstaltung in München gleich zur erfolgreichen Mitgliederwerbung nutzte. „Wie wir die Klimakrise bewältigen, entscheidet, WIE wir überleben, die biologische Vielfalt OB wir überleben“, leitete Dr. Norbert Schäffer seinen Impulsvortrag zur Rolle der EU für den Naturschutz in Bayern ein. „Für die allermeisten politischen Parteien ist Umwelt- gleich Klimaschutz“, rügte der LBV-Vorsitzende. Dies greife entschieden zu kurz.

Während bis vor wenigen Jahren die EU als „letztes Bollwerk im Naturschutz“ gedient habe, beunruhige die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit seit der Corona-Krise und dem offenen Ukraine-Kriegsausbruch. „Wenn die Rechtspopulisten an die Macht kommen, befürchten wir ein Roll back im EU Naturschutz“, warnte Schäffer. „Ohne die EU wäre der Naturschutz in Europa deutlich schlechter gestellt.“

Die 1979 erlassene Vogelschutzrichtlinie der EU – der Anlass war die Jagd auf Zugvögel, die FFH-Richtlinie von 1992 und Natura 2000 seien entscheidende Meilensteine im Naturschutz. Besonders wichtig sei Natura 2000, die nach wissenschaftlichen Kriterien die wichtigsten 18 Prozent Flächen innerhalb der EU besonders schützt – insgesamt über 25.800 Flächen. „Kein Staat allein hätte das geschafft.“

Die Erfolge seien unübersehbar: „Wir hatten Jahrzehnte keinen Kranich, den Weißstorch hatten wir in den 80er Jahren schon überlegt, aufzugeben.“ Auch als Ergebnis von Schutzbemühungen und sehr intensiver Arbeit Ehrenamtlicher sei es gelungen, dass heute vielerorts bereits Beschwerden über das Klappern der Störche eintreffen würden. „Ein schönes Luxus-Problem“, freut sich Schäffer.

Es sei jedoch noch sehr viel zu tun, denn viele Arten und Lebensräume befänden sich in einem schlechten Erhaltungszustand. „Wir brauchen ein starkes EU-Renaturierungsgesetz, eine starke Reduzierung des Pestizideinsatzes und eine Agrarpolitik, die naturverträglich ist. Die Landwirte sind doch die allerersten, die unter dem Zusammenbruch der Artenvielfalt und dem Klimawandel leiden.“

Mit Blick auf die EU-Parlamentswahl empfahl der Biologe: „Wählen Sie diejenigen, die sagen: Ich stehe dahinter und ich lasse mich auch zitieren.“

Stolz auf das Volksbegehren zur Artenvielfalt

Ausführlich würdigte Schäffer das erfolgreiche Volksbegehren „Artenvielfalt. Rettet die Bienen“ als „wichtigste Artenschutz-Maßnahme in einer ganzen Generation“. Dieses hatte die ÖDP initiiert und nicht zuletzt mit Unterstützung des LBV erfolgreich umgesetzt. „Es war viel Arbeit, die uns die ÖDP gemacht hat, aber es hat sich gelohnt.“ Viele Maßnahmen habe die EU dann übernommen, gerade heute sei er von einer Delegation aus Japan auf das Volksbegehren angesprochen worden.

Dennoch bleibe auch in Bayern noch viel zu tun, das vorhandene Geld werde für den Umweltschutz teilweise nicht wirtschaftlich eingesetzt, die Umsetzung wichtiger Maßnahmen erfolge viel zu langsam.

Um die Lebensmittelsicherheit dauerhaft zu sichern, forderte Schäffer vor allem gesunde Lebensräume und nannte Stellschrauben. „Die wichtigste Stellschraube ist der Fleischverbrauch.“ Eine fleischbasierte Ernährung benötige die zwei- bis dreifache Fläche und erfordere einen höheren Energieverbrauch. Würde der Fleischverbrauch, wie vom LBV gefordert, um die Hälfte sinken, sei bereits ausreichend Fläche für die Wiedervernässung der Moore in Bayern vorhanden. Zu hinterfragen sei auch die Sinnhaftigkeit von Energiepflanzen: Ein Windrad erzeuge so viel Energie wie Energiepflanzen auf rund 40 Hektar Anbaufläche, auch die Energieausbeute von PV sei „so viel höher“.

Als Respektlosigkeit, nicht zuletzt gegenüber den Landwirten, wertete Dr. Schäffer den Umstand, dass in Deutschland ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen werde – nachdem sie gekauft wurden.

PFAS-Verbote überfällig

In der anschließenden Diskussion waren sich alle Anwesenden einig, dass das Wasser sehr stark gefährdet durch „Ewigkeitschemikalien“ (PFAS) ist. MdEP Ripa beklagte, dass ein PFAS-Verbot überfällig sei, zumindest müsse eine Kreislaufwirtschaft mit diesen gefährlichen Stoffen gesetzlich vorgeschrieben werden. „Die Kommission hat das immer wieder rausgezögert. Jetzt brauchen wir nicht noch eine weitere Studie – jetzt reicht es mal! Wir müssen die Industrie anhalten, diese gefährlichen Stoffe nicht mehr zu produzieren.“

Schäffer ergänzte: „Wir müssen absolut die Notbremse ziehen – so kann man mit der Umwelt nicht umgehen.“

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