Naturschutz in Europa
„Große Gefahr eines Rollbacks“
Herr Dr. Schäffer, Sie sind bekennender Agnes-Becker-Fan und waren vor fünf Jahren an dem erfolgreichen bayerischen Volksbegehren „Artenvielfalt“ maßgeblich beteiligt, das die Naturschutzpartei ÖDP initiiert hatte. Was hat dieses Volksbegehren für den Naturschutz bisher tatsächlich erreicht – in Bayern und vielleicht sogar darüber hinaus?
Norbert Schäffer (NSch): Durch das Volksbegehren haben wir in Bayern messbare Erfolge für den Naturschutz erzielt: Neue Waldgebiete wurden unter Schutz gestellt, unter anderem 960 ha an der Donau. Es gibt endlich verbindliche Vorgaben für Gewässerrandstreifen. Im Jahr 2022 wurden insgesamt Mittel in Höhe von 3,5 Mio. Euro für die Umsetzung des Streuobstpaktes ausgegeben, in ganz Bayern wurden neue Bäume gepflanzt.
Nach dem Volksbegehren waren in ganz Bayern überall neue Blühflächen zu sehen, ein Bild für den gesellschaftlichen Wandel, zu dem das Volksbegehren beigetragen hat. Gerade dieser gesellschaftliche Wandel ist so wichtig, um langfristig Veränderung zu erreichen. Deswegen dürfen unsere Bemühungen jetzt nicht aufhören, wir müssen dafür sorgen, dass der Schutz der Artenvielfalt ganz oben auf der politischen Agenda bleibt!
Sie haben in einem Vortrag in München im Mai 2024 gesagt: Die EU war für uns ein Bollwerk gegen die Naturzerstörung… Ist sie es heute nicht mehr?
NSch: Richtlinien der EU sind maßgeblich für den Naturschutz, auch hier in Bayern. Mit Natura 2000 wurde das größte Schutzgebietssystem der Erde geschaffen. Aber die zunehmend heftigen und häufig populistisch geführten Diskussionen in der jüngsten Vergangenheit zum Beispiel zum Restaurationsgesetz und die schon wieder ausgesetzten Regelungen zu Brachflächen in der Landwirtschaft zeigen, dass der Naturschutz auch auf EU-Ebene zunehmend unter Druck gerät. Wir sehen die große Gefahr eines Rollbacks in der europäischen Naturschutzpolitik.
Welchen Ratschlag geben Sie umweltbewussten Menschen für die anstehende Wahl des EU-Parlaments?
NSch: Am wichtigsten: Nutzen Sie ihr Mitspracherecht und gehen Sie wählen! Eine Wahlempfehlung werde ich nicht geben. Aber fragen Sie die Abgeordneten nach ihrer Meinung zu den EU-Plänen bei Renaturierung, Brachflächen und Pestiziden. Und wenn Sie keine zufriedenstellende Antwort erhalten, wenn die Abgeordneten nicht zu diesen Themen stehen – wählen Sie sie nicht.
Der LBV ist dabei, mit inzwischen bereits rund 120.000 Mitgliedern, die CSU und den Bauernverband hinsichtlich der Mitgliederzahl zu überholen. Was macht den LBV so erfolgreich?
NSch: Der LBV setzt sich seit über 100 Jahren erfolgreich für den Schutz von Arten und Lebensräumen in Bayern ein. Dabei war es uns immer wichtig, fachlich fundiert zu arbeiten. Das fortschreitende Artensterben macht unsere Arbeit heute wichtiger denn je, das ist sicher vielen Menschen bewusst.
Und gerade in den aktuell oft hitzig geführten Debatten um Natur- und Umweltschutz ist ein dialogorientierter Verband wie der LBV wichtig, der seine Anliegen immer sachlich und ruhig, aber unnachgiebig vertritt.
Gegen das vom LBV und der ÖDP geforderte Vorhaben, 4 Prozent der Fläche für Blühflächen zu reservieren, haben gewisse Kreise mit der Behauptung opponiert, dies würde die Ernährungssicherheit gefährden. Ist das zutreffend und welche drei Maßnahmen schlagen Sie vor allem vor, um das Ziel der Ernährungssicherheit langfristig sicher zu erreichen?
NSch: Sichere Erträge in der Landwirtschaft sind langfristig nur möglich, wenn Wasser, Bodenleben und Insektenvielfalt in gutem ökologischem Zustand sind und das Klima weitgehend stabil bleibt. Der Erhalt der natürlichen Produktionsgrundlagen ist die Voraussetzung für Ernährungssicherheit.
Dafür muss die Agrarpolitik die Leistungen von Landwirten für den Schutz von Boden, Wasser, Artenvielfalt und Klima angemessen honorieren, wir brauchen eine Neuausrichtung des Fördersystems. Der ökologische Landbau muss stärker gefördert werden und nicht zuletzt steht der Handel in der Pflicht, den Erzeugern angemessene Preise zu bezahlen.
Herzlichen Dank, Herr Dr. Schäffer, für das interessante Gespräch!