Drei Fragen an Dr. Michael Stöhr
Sozial ist die Energiewende, wenn viele daran verdienen
1. Herr Stöhr, Sie wollen die Energiewende sozial gerecht umsetzen. Wie wollen Sie das im Fall Ihrer Wahl ins EU-Parlament erreichen?
Dr. Michael Stöhr (MS): Eine vollständig erneuerbare heimische Energieversorgung ist insgesamt kostengünstiger als unsere bisherige. Teuer sind jedoch die Investitionen, die am Anfang getätigt werden müssen. Sozial ist es, wenn viele mit kleinen Beiträgen das Kapital dafür aufbringen und die Anlagen dann das Eigentum von vielen sind, nicht von wenigen Aktionären der großen Energieversorger; und sozial ist es, wenn viele daran verdienen, nicht nur wenige.
Das lässt sich erreichen, wenn Energiegemeinschaften zur tragenden Säule der Energieversorgung werden, so wie wir es fordern. Wir wollen davon diejenigen besonders fördern, die ihren Mitgliedern Sozialenergietarife anbieten. In Deutschland gibt es das noch nicht, aber EU-Recht erlaubt es schon: Frankreich und Italien machen uns vor, wie es geht. Im Europaparlament gilt es darauf aufzubauen.
2. Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen? Sie sind schwerhörig, im EU-Parlament wird oft durcheinandergeredet. Wie wollen Sie mit dieser für Sie vermutlich schwierigen Ausgangslage umgehen?
MS: Im EU-Parlament gibt es Induktionsschleifen für Hörgerätetragende. Was während der Sitzungen ins Mikrofon gesprochen wird oder eine Übersetzung davon, kann ich mit meinen Hörgeräten direkt empfangen. Das ist dann, als hätte ich einen Kopfhörer auf. Überhaupt sind die verschiedenen Situationen, auf die ich mich einstellen muss, nicht grundsätzlich neu für mich. Und ich hatte genug Gelegenheit, entweder Wege zu finden, damit umzugehen, oder Alternativen zu entwickeln, z. B. Delegation von Aufgaben oder schriftliche Kommunikation.
3. Die Umfrageergebnisse lassen nicht unbedingt gute Ergebnisse für ökologisch orientierte Parteien erwarten. Dennoch verbreiten Sie strahlenden Optimismus – bewundernswert. Wie schaffen Sie das?
MS: Ein Mandat im Europaparlament ist für mich kein Karriereschritt, sondern die Übernahme eines Dienstes für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen, für sozialen Ausgleich und Gemeinwohl, für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wem ich dann diene? Ich bin nur meinem Gewissen verpflichtet. Also alles ganz easy? Im Gegenteil, das erfordert Rückgrat und die Bereitschaft, mich jedem in den Weg zu stellen, der versucht, mich gegen mein Gewissen zu etwas zu nötigen. Nur so bin ich frei und kann dem Geist und Inhalt des Programms treu bleiben, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind.
Ob ich denn auf niemanden mehr höre? Oh doch, das Gewissen will ja gut informiert sein. Aber wenn ich ins Parlament komme und dann einer Allianz von Demokratiefeinden und Naturzerstörern gegenüberstehe? Ich sprach gerade von Rückgrat. Ist das nicht sinnlos? Nein, nur so finden wir einen Weg in die Zukunft – allen Katastrophen zum Trotz.
Woher ich die Kraft nehme? Nicht aus mir und nur wenig aus dem Zuspruch anderer. Aber mein Glaube lässt mich wach sein für die Momente, in denen diese Kraft immer wieder neu aus einer Quelle sprudelt, die sich unser aller Zugriff und Kontrolle entzieht.