SO funktioniert richtiger Hochwasserschutz
Kommentar aus einem Katastrophengebiet
Nach sintflutartigen Regenfällen zeigt sich am Beispiel Ampermoos: Die Natur kann der beste Verbündete gegen verheerende Überschwemmungen sein. Ein Kommentar von Peter Knoll, ehemaliger Mitarbeiter im Katastrophenschutz.
Mitten im Überschwemmungsgebiet der Amper liegt das Haus meiner Schwester Sabine. Am ersten Juni-Wochenende prasselten binnen 48 Stunden 140 Liter Wasser pro Quadratmeter herunter. Das entspricht in etwa dem Inhalt einer vollen Badewanne.
Kein Wunder, dass ich mir zunächst Sorgen machte – ich erinnere mich noch zu gut an die Bilder vom Jahrhundert-Hochwasser an Pfingsten 1999. Die Wassermassen hatten einen Großteil meines Ortsteils in eine Seenlandschaft verwandelt. Mitten darin: das Haus, das zwischenzeitlich Sabine und ihr Mann gekauft haben. „Du musst Dir wirklich keine Sorgen machen, hier ist alles trocken“, reagierte sie auf meinen besorgten Anruf. „Hier ist alles trocken.“
Das sollte auch so bleiben: Die Amper blieb brav in ihrem Bett, der Pegelstand erreichte nicht einmal das Niveau der ersten Meldestufe von 1,70 cm, bei der Keller in der Kreisstadt Fürstenfeldbruck nass geworden wären. Kritisch für das Haus meiner Schwester wäre es erst ab 2,50 cm geworden – die Fluten des Jahres 1999 lagen deutlich darüber. Sabine konnte daher sorgenfrei in den Kurzurlaub fahren.
Weniger Glück hatten einige meiner besten Freunde, deren Häuser alle nicht (!) in einem Überschwemmungsgebiet liegen. Sie hatten vor kurzem gebaut – und riefen mich am Montag verzweifelt an, weil ihre Keller unter Wasser standen. In Olching und in anderen Gemeinden des Landkreises ist der Grundwasserspiegel deutlich gestiegen. Und es sind nach dem Starkregen viele kleine Bäche zu reißenden Flüssen geworden. Sie vor allem verursachen Schäden in Millionenhöhe.
Vergeblich gekämpft
Die Feuerwehr vor Ort hat, unterstützt von vielen freiwilligen Helfern, bis zum Umfallen gekämpft. Sie hat alles in ihren Kräften Stehende getan, um gefährdete Siedlungen wenigstens vor dem stinkenden Oberflächenwasser zu schützen. Geholfen hat der vorbildliche Einsatz nicht immer: Im Süden meiner Heimatstadt kam ein für erinnerlich etwa vier Millionen Euro im Jahr 2014 angeschafftes Schlauchsystem zum Einsatz, zusammen mit Sandsäcken.
An einer Stelle wurde der Druck der Wassermassen aus dem sonst so gemächlichen Starzelbach so gewaltig, dass es vorübergehend zu einem Dammbruch kam – und ganze Straßenzüge unter Wasser standen, wieder einmal. Erst vor drei Jahren war es im Süden von Olching zu großen Hochwasserschäden gekommen. Ein Bündel technischer Maßnahmen soll, gemeinsam finanziert von einigen Gemeinden, in Zukunft derartige Katastrophen vermeiden. Kostenpunkt: geschätzt knapp 40 Millionen Euro.
Ampermoos als wirksamer Zwischenspeicher
Was war zwischenzeitlich passiert, warum stellte diesmal die Amper keine Gefahr dar? Seit 2013 wurde zur Wiedervernässung des Ampermooses eine Sohlschwelle errichtet. Das Ampermoos ist rund 519 Hektar groß, beginnt am Ammersee und wirkt als natürlicher Zwischenspeicher der Amper; je niedriger der Wasserstand, desto mehr. Die Kosten für die Wiedervernässung lagen damals bei rund 1,2 Millionen Euro. Davon hat laut Wasserwirtschaftsamt fast die Hälfte die EU finanziert. Also hat die bei weitem wirksamste aller Maßnahmen am wenigsten gekostet, nur einen Bruchteil gängiger technischer Maßnahmen – üblich sind z. B. zwischen 200 und 500 Euro pro Quadratmeter für Hochwasserschutzschläuche.
Es wird also höchste Zeit, umzudenken: Die Natur ist der stärkste Verbündete gegen die verheerenden Auswirkungen der klimawandelbedingt immer häufigeren Extremwetter-Ereignisse – und zugleich der billigste.
Eine der treibenden Kräfte für die gegen große politische Widerstände erreichte Ampermoos-Wiedervernässung war mein damaliger Kollege in der Ausschuss-Gemeinschaft im Stadtrat von Olching: ÖDP-Urgestein Erwin Dobner. Er war von 1996 bis 2012 – zunächst als Einzelkämpfer – auch im Kreistag aktiv und dort Referent für Natur- und Artenschutz.
Vor einigen Wochen ist Erwin verstorben. Das wiedervernässte Ampermoos, inzwischen ein wunderbares Vogelschutzgebiet, war sein vielleicht größtes Herzensanliegen und ein Stück weit auch sein Vermächtnis. Danke, Erwin.