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Expertendiskussion fünf Jahre nach dem Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“

Kolossaler Aufwand, kolossale Erfolge

Sichtbare Ergebnisse für den Artenschutz zeigen sich über den Freistaat Bayern hinaus – Co-Landeschefin der ÖDP Bayern, Agnes Becker und LBV-Vorsitzender Dr. Norbert Schäffer ziehen Bilanz und warnen vor einem Umschwung mit katastrophalen Folgen.

Hat sich der kolossale Aufwand gelohnt? „Ja, unbedingt!“, antworteten die beiden Referent(inn)en der ÖDP-Expertendiskussion zum Thema „Artenvielfalt“ zu Beginn ihres gemeinsamen Referats. Agnes Becker, das „Gesicht“ des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“, und Dr. Norbert Schäffer, der damals für den Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) Mitinitiator war, hatten maßgeblichen Anteil am vor fünf Jahren erfolgreichen Volksbegehren.

Mit dem Hinweis auf die beiden Großkrisen Klimawandel und Artensterben startete der Biologe Schäffer seinen Vortrag. Für ihn ist die „Biodiversitätskrise“, sinnbildlich dafür seien brennende Regenwälder, diejenige, die darüber entscheide, „ob wir überleben“. Hier seien entscheidende Grenzen bereits überschritten. Am besten zeige sich bei den Feldvögeln, wie verheerend das Artensterben bereits fortgeschritten ist: Die Rebhuhnbestände beispielsweise seien seit 1960 in Bayern um95 Prozent zurückgegangen – ein Indikator für den Artenschwund in einem ganzen Lebensraum: „Vögel sind nicht nur schön, sie zeigen uns an, wie es ist.“ Auch die Honigbiene sei ein guter Anzeiger: „Die Imker wissen, wie es ihren Beständen geht. Geht es diesen schlecht, geht es auch den Wildbienen schlecht.“

Eine entscheidende Grundlage für das Volksbegehren waren laut LBV aktuelle Forschungsergebnisse. „Anlass und Anstoß des Volksbegehrens zur Rettung der Artenvielfalt war die sogenannte Krefelder Insektenstudie: Diese hat, ermöglicht von Ehrenamtlichen angeleitet von Fachleuten, gezeigt, dass binnen 27 Jahren über 75 Prozent der Biomasse in Schutzgebieten verschwunden ist.“ Von der Fluginsekten-Studie hatte der LBV bereits 2016 gehört und diese sei 2017 unglaublich eingeschlagen. „Dadurch ist bei der ÖDP der brennende Wunsch entstanden, die Volksgesetzgebung einzusetzen, um mehr Artenschutz zu erzwingen,“ erinnert sich Becker.

„Wir wussten ja schon genau, was wir tun müssen. Sobald etwa eine Buntbrache ein paar Jahre alt ist, kommt ein verlorener Lebensraum zurück. Mit dem Rehhuhn-Projekt in Oberfranken, das wir damals gerade vorgestellt hatten, konnten wir das auch beweisen: Es gab jede Menge Insekten und jede Menge Blühpflanzen.“

Lange rote Listen

Binnen 40 Jahren sei über die Hälfte der Lebensvielfalt verloren gegangen – EU-weit, nicht nur in Bayern. Eine Folge der Agrarpolitik: „Landwirte haben nichts Illegales getan. Aber das hatte eine verheerende Wirkung.“ Aus der „Roten Liste“, in der bedrohte Arten beschrieben sind, seien dicke Bücher geworden. Während knapp 10 Prozent der Vögel in den Wäldern verloren gegangen sind, hat insbesondere die Intensiv-Landwirtschaft dazu geführt, dass die Feldvögel um ein Vielfaches mehr verschwunden sind, so der Biologe. So seien sogar zuvor häufige Vögel wie das Rebhuhn  in Bayern „praktisch verschwunden“ gewesen. „Die bedrückende Realität war: Es gab Ecken, da gab’s überhaupt nix mehr.“

Zeitfenster genutzt, Naturschutzgeschichte geschrieben

Einer der Schlüssel für den durchschlagenden Erfolg des von über 1,7 Millionen Wahlberechtigten unterschriebenen Volksbegehrens, „der wildeste Ritt meines politischen Lebens“ (Agnes Becker). Agnes Becker ist überzeugt: „Die erdrückende wissenschaftliche Faktenlage ist mit dem Empfinden großer Teile der Bevölkerung zusammengetroffen.“ Die Zeit war reif, die ÖDP habe mit dem Volksbegehren eine „geniale Idee geboren“, so Schäffer. Dies habe dann auch Eingang in die Koalitionsverhandlungen gefunden. Und Staatsregierung und Landtag hätten nicht nur den Gesetzestext des Volksbegehrens unverändert angenommen, sondern sogar in einem sogenannten Begleitgesetz noch weitergehende Maßnahmen beschlossen. Dies sei vor allem auch Verdienst des Anfang diesen Jahres verstorbenen Alois Glück gewesen, der die zunächst unversöhnlich erscheinenden Posititionen am Runden Tisch weitgehend zusammenführen konnte.  „Wir haben damals sehr viel Zeit in Staatskanzlei und Maximilianeum verbracht – es hat sich ausgezahlt.“

Ermutigt durch den Erfolg, kam es zu ähnlichen Initiativen in anderen Bundesländern. „Das hat bis heute Wellen geschlagen – auch international. Selbst aus Indien, Japan oder Australien kamen Anfragen. Wir haben Geschichte geschrieben!“, freut sich Norbert Schäffer.

Trendumkehr erreicht

„Doch was wirklich zählt: Was haben wir tatsächlich erreicht?“, betont der LBV-Vorsitzende. Insgesamt sei eine „Trendumkehr“ zu beobachten: „Wir sind auf einem sehr guten Weg!“

Gesetzeskonform wurde der Anteil von zehn Prozent Naturwald im Staatswald erreicht. Dort darf also Natur Natur sein und die Säge muss schweigen. Wehrmutstropfen: Bei den über 80.000 Hektar Naturwald hat die Staatsregierung großzügig auch 15.000 Hektar Latschenkiefer-Bestände mitgerechnet, die ohnehin ungenutzt sind.

Zu den Erfolgen des Volksbegehrens zählt er den Schutz der „Gewässerrandstreifen“ bei Gewässern 3. Ordnung. „Der Rückgang der Artenvielfalt ist hier sogar noch dramatischer als in der Agrarlandschaft. Das Volksbegehren hat hier nun endlich für einen gesetzlichen Schutz gesorgt, den es in allen anderen Bundesländern längst gab. Auf einem fünf Meter breiten Streifen darf nicht mehr geackert werden als Schutz vor Eintrag von Sediment, Dünger und Ackergiften. Hier klappt die Umsetzung sehr gut.“ Fischerei und Wasserwirtschaft hätten 30 Jahre vergeblich dafür gekämpft, diese Gesetzeslücke in Bayern zu schließen. Agnes Becker berichtete stolz, dass ihr einer der Spitzenvertreter der Gewässerwirtschaft persönlich dazu gratuliert hat. „Das war auch für unser wichtigstes Lebensmittel, unser Trinkwasser sehr, sehr wichtig.

Auch dank der Unterstützung durch Alois Glück sei der Bayerische Streuobstpakt zustande gekommen, der für zusätzlich eine Million Obstbäume in Bayern für Streuobstwiesen bis 2035 sorgen wird.  Die errechneten und zugesagten Kosten in Höhe von 670 Millionen Euro, nicht zuletzt für die Pflegemaßnahmen, waren zuvor Summen, die man noch nie für den Artenschutz, sondern nur für den Straßenbau gekannt hatte: „Die Staatsregierung hat zu unserer Überraschung gesagt: Wir machen das.“

Umsetzung ein Marathon-Lauf

Bis heute sehen sich die Initiatoren des Volksbegehrens ihren rund 1,7 Millionen Unterstützer(inne)n verpflichtet:

„Wir stehen im Wort und wir beobachten, ob es sauber umgesetzt wird.“ Dazu dient ein wissenschaftlicher Monitoringbericht mit einem Indikatorenset, erarbeitet von Professor Roman Lenz von der Hochschule Nürtingen-Geislingen. Becker: „Wie jeden Sommer seit 2020 ziehen wir auch heuer Bilanz. Zum fünften Geburtstag werden alle Indikatoren überprüft.“ Sehr gut komme das Praxis-Handbuch Bauhof an, die Bewirtschaftung von Straßenrändern habe sich auch dadurch grundsätzlich geändert.

Was aber nach wie vor fehle, sei ein Laubwald-Nationalpark im Steigerwald. Mit gut neun Prozent sei das Ziel, auf mindestens 10 Prozent des Grünlandes die erste Mahd erst frühestens nach dem 15. Juni durchzuführen, zwar in Sichtweite, aber eben noch nicht erreicht.

Schwierigkeiten kamen auch an ganz unerwarteter Stelle bei der Bestimmung der anzulegenden Gewässerrandstreifen zum Vorschein: Die Kartierungen der Gewässer 3. Ordnung waren zum Teil mehrere Jahrzehnte alt und bedingt durch Klimawandel und großflächige Baumaßnahmen (z. B. Flughafen im Erdinger Moos – Absenkung des Grundwasserspiegels um rund 2 Meter) alles andere als aktuell. Diese Kartierungen werden jetzt in ganz Bayern aktualisiert. Um die Größenordnungen zu verdeutlichen, bleib Agnes Becker gleich beim Landkreis Erding: Alleine hier gibt es 1700 km Gewässer 3. Ordnung.

Einem Herzensthema widmete sich Becker gleich im Anschluss: dem Ausbau des Ökolandbaus – dem Schlüssel für mehr Leben auf Wiesen und Äckern. Hier hat das Volksbegehren Zielvorgaben ins Naturschutzgesetz geschrieben. 20 Prozent sollen es bis 2025 sein, 30 Prozent bis 2030. Im Jahr 2023 lag der Anteil in Bayern bei gut 13 Prozent.  Gerade im Ökolandbau drohen  die Ziele bisher nicht erreicht zu werden. Becker und Schäffer waren sich einig, dass der Schlüssel zur Zielerreichung in der Hand der bayerischen Landwirtschaftsministerin liege. Es brauche endlich eine verbindliche Bioquote von 30 Prozent beim Einkauf von Lebensmittel durch die öffentliche Hand. Laut Agrarbericht gingen alleine in Bayern täglich rund eine Million Essen in der öffentlichen Kantinenverpflegung über den Tresen, der Bioanteil sei im kaum messbaren Bereich. Wie das geht, zeige Österreich mit aktuell 27 Prozent Ökolandbau.

„Das wichtigste Ziel, aus meiner Sicht wichtiger als alle anderen Teilziele zusammen, ist der Biotopverbund: Er soll 15 Prozent des Offenlands bis 2030 betragen, hat der Ministerpräsident versprochen“, resümiert Schäffer. „10,4 Prozent sind erreicht. Es geht in die richtige Richtung. Es fehlen die nächsten 5 Prozent. Sie lassen sich nicht zusammenrechnen, sie sind neu zu schaffen.“ Es bedeute einen großen Aufwand, 5 Prozent aus der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung zu nehmen und als Vernetzungswege für bedrohte Pflanzen und Tiere umzubauen.

Problematisch sei zudem die vereinbarte Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2028, weil dafür die Datengrundlage fehlt. Erst ein vom LBV in Auftrag gegebenes Gutachten hätte hier für belastbare Zahlen gesorgt.

Gärten des Grauens

Besonders im Bereich der privaten Haushalte sei aber noch sehr viel für den Artenschutz zu tun, betont Schäffer. „In Sachen Lichtverschmutzung haben wir bei der überwiegenden Mehrheit der öffentlichen Gebäude festgestellt, dass sie nach 23 Uhr das Licht abschalten, so wie es das Gesetz vorschreibt.  Ähnliches wünschen wir uns auch im privaten Bereich.“

Auch würden Schottergärten und Mähroboter zu biologisch fast toten „Gärten des Grauens“ führen. In diesen Bereichen demonstrierten der LBV-Vorsitzende wie der Moderator der Veranstaltung, Helmut Scheel, mit ihren vorbildlichen persönlichen Beispielen, wie es besser geht: Schäffer empfindet die kürzliche Entdeckung einer Zauneidechse in seinem Garten als „Ritterschlag“. Und der Stellvertretende Bundesvorsitzende wurde gerade mit einem Spitzenwert für seinen naturnahen, vogelfreundlichen Garten zertifiziert.

Hohe Wertschätzung der Landwirtschaft – Höfesterben kein Naturgesetz

Agnes Becker betonte nach entsprechenden Nachfragen im Chat, dass sich das Volksbegehren nie gegen die Landwirte gerichtet habe. Es sei ein Volksbegehren, „das natürlich auch den Landwirten hilft – es ist ein millionenschweres Investitionsprogramm in die bayerische Landwirtschaft. Allerdings gäbe es das Geld halt nicht mehr nur, weil man Fläche bewirtschafte, sondern es komme entscheidend darauf an, ob auf den Flächen Gemeinwohlleistungen erbracht werden. Die wenigsten Maßnahmen seien im Übrigen tatsächliche Verbote, sondern gäben dem Staat Ziele vor, die er in Kooperation mit der Landwirtschaft erreichen müssen. Es war nie ein „Sieg“ über die Landwirtschaft!“

Anders als etwa vom Bayerischen Wirtschaftsminister und Teilzeit-Landwirt Hubert Aiwanger behauptet, habe sich dieses auch nicht auf das Höfesterben ausgewirkt: „Die Dramatik hat sich nicht geändert. Seit den 1960er-Jahren korreliert es übrigens mit dem Artensterben. Jedes Hoftor, das für immer zumacht, ist eins zu viel.“

Der Grundfehler sei, dass die heimischen Landwirte mit dem Weltmarkt konkurrieren und sich mit den Weltmarktpreisen messen müssten. Die Leistung, die die Landwirtschaft für die Natur erbringe, würde weiterhin viel zu wenig honoriert, auch finanziell. Den Bauern werde bereits bei der Ausbildung eingetrichtert, es gebe nur die Wahl zwischen Wachsen oder Weichen – was wiederum Verdrängung bedeute. Der europäischen Landwirtschaftspolitik, sollte sie sich nicht grundlegend ändern, würden noch „ganz, ganz viele Höfe“ zum Opfer fallen: Von 2017 bis 2030 werde nach einer Prognose „jeder zweite Betrieb verschwinden, der 2017 noch existiert“.

Becker: „Das ist furchtbar und die unmittelbare Folge einer jahrzehntelang falschen Förderpolitik, die 80 Prozent der Mittel auf die Fläche ausschüttet.“ Bisher gebe es in der EU eine „massiv falsche Zielsetzung, was die Landwirtschaft leisten soll“.

Wer also wirklich etwas für die heimische Landwirtschaft tun will, so die Tierärztin, müsse die ÖDP wählen, am besten ihr gleich beitreten und mitmachen.

Falsche Weichenstellungen

Durch den Ukrainekrieg und die Bauernproteste hätte sich „das Koordinatensystem verschoben“. Letztere hätten „viel Grund sich zu beschweren“, die Reaktionen auf die Trecker-Blockaden wären aber übertrieben: Durch die großen Traktoren wäre eine verzerrte Wahrnehmung entstanden; wenn sonst irgendwo „ein paar hundert Demonstranten stehen“ würde das auch niemanden interessieren.

Plötzlich werde gefordert, erreichte Umweltstandards wieder zu demontieren. Es sei der Eindruck entstanden, es komme nur noch darauf an, Lebensmittel zu produzieren, egal wie. Für die Ernährungssicherheit gebe es aber deutlich wichtigere Stellschrauben als den Verzicht auf die aus Artenschutz-Sicht zwingend nötigen mindestens 4 Prozent Brachen, die einige Verbände und Politiker fordern, betont Schäffer: „Die wichtigste ist: Den Fleischverbrauch halbieren! Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt sogar: zwei Drittel runter.“

Zudem sei die Produktion sogenannter Energiepflanzen wahnsinnig ineffizient. „Raps oder Mais anbauen, bringt sehr wenig Energie. Eine PV Fläche ist ökologisch wertvoller als jeder Acker, auf dem Intensiv-Landwirtschaft betrieben wird. Aber ich brauche 40 Hektar, um die gleiche Energie zu gewinnen.“ Daher sei die „Flächeneffizienz lächerlich“.

Die dritte der wichtigsten Stellschrauben: das Wegwerfen von Lebensmitteln. Aktuell werde in Deutschland ein Drittel nach (!) dem Kauf weggeworfen – laut LBV „völlig respektlos“ auch gegenüber den Erzeugern: „Wir müssen wissen, wie wir mit Lebensmitteln umgehen: Sie werden nicht sofort toxisch bei der Überschreitung des Verfallsdatums.“

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