ödp-Verfassungsklage: Stellungnahme von Hans Herbert von Arnim
Wie kleine Parteien kaltgestellt werden
Am 30. Juni 2004 wurde die ödp-Klage gegen das Parteienfinanzierungsgesetz beim Bundesverfassungsgericht mündlich verhandelt. Im Folgenden finden sich Auszüge aus der Stellungnahme von Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim.
Die ödp als Antragstellerin wird durch vier Faktoren massiv benachteiligt:
1. durch die "Jeweiligkeitsklausel",
2. durch die Vorwirkung der 5%-Klausel bei Parlamentswahlen,
3. durch den geringen öffentlichen Aufmerksamkeitsgrad, den außerparlamentarische Parteien im Verhältnis zu Parlamentsparteien genießen, und
4. durch die zusätzliche Unterstützung, die Parlamentsparteien durch ihre Fraktionen, ihre Abgeordneten und Abgeordnetenmitarbeiter, ihre Parteistiftungen, ihre Regierungen und ihre anderen Amtsinhaber faktisch erhalten.
1. Jeweiligkeitsklausel - nicht alle Stimmen zählen
Zunächst zum ersten Faktor: Bei Berechnung des Wähleranteils der staatlichen Parteienfinanzierung fallen schon jetzt regelmäßig viele Stimmen unter den Tisch, die für die Antragstellerinnen abgegeben worden sind. Diese Stimmen werden nicht mitgezählt, wenn die Partei nicht das 0,5-Prozent-Quorum bei Bundestags- oder Europawahlen oder das 1-Prozent-Quorum bei Landtagswahlen erreicht hat. Sie werden aufgrund der "Jeweiligkeitsklausel" auch dann nicht mitgerechnet, wenn die Partei in einem Bundesland das Quorum von einem Prozent der Wählerstimmen erreicht und damit ihre Ernsthaftigkeit unter Beweis gestellt hat. Darin liegt eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung gegenüber anderen Parteien, bei denen alle für sie abgegebenen Stimmen zählen, wenn es um die Berechnung ihres Wählerstimmenanteils bei der Staatsfinanzierung geht. Um die Größenordnung dieser Benachteiligung zu ermitteln, habe ich alle Wählerstimmen der Antragstellerinnen für das Jahr 2003 ermittelt: Die ödp hat, bezogen auf den Stichtag 15. Februar 2004, insgesamt 309.584 Stimmen bei den letzten Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen erhalten. Aufgrund der "Jeweiligkeitsklausel" werden aber nur die 100.052 Stimmen berücksichtigt, die die ödp bei der bayerischen Landtagswahl bekommen hat. Es werden also nur weniger als ein Drittel der Stimmen, die für die ödp abgegeben wurden, bei der Bemessung der Staatsfinanzierung berücksichtigt.
2. 5%-Klausel schreckt Wähler ab
Hinzu kommt, dass kleine Parteien - aufgrund der 5%-Klausel bei Wahlen - nach zuverlässigen Erfahrungssätzen der Wahlforschung - tendenziell weniger Stimmen erhalten als sie erhielten, wenn es keine Sperrklausel gäbe. Viele Wähler, die an sich eine bestimmte kleine Partei wählen wollen, lassen sich davon nämlich schließlich doch abhalten, weil sie befürchten, ihre Partei werde die 5%-Hürde nicht überspringen und deshalb würden die für sie abgegebenen Stimmen verfallen. Die im Parlament vertretenen Parteien pflegen diesen Effekt im Wahlkampf auch groß herauszustreichen, um die Wähler gezielt davon abzuhalten, ihre kleineren Konkurrenten zu wählen. Die Sperrklausel bewirkt - indirekt - also eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit kleiner Parteien, die weit über den nominellen Wert von 5% hinaus geht. Deshalb ist die Unterstützung, die eine kleine Partei in der Wählerschaft genießt, in Wahrheit regelmäßig erheblich größer, als die von ihr bei der Wahl erreichen Stimmenprozente vorgeben. Beide Formen von Verzerrungen zu Lasten kleiner Parteien sind durch den Gesetzgeber verursacht, nämlich durch die 5%-Sperrklausel und durch die Jeweiligkeitsklausel. Die Vorwirkungen der 5%-Sperrklausel und die Jeweiligkeitsklausel mögen hinzunehmen sein, wenn es um die Bildung handlungsfähiger Mehrheiten im Parlament oder die Bemessung des Wähleranteils geht. Sie dürfen aber nicht auch noch dazu verwendet werden, kleinen Parteien den durch die Sperrklausel bewirkten geringen Wähleranteil bei der staatlichen Teilfinanzierung zum Vorwurf zu machen und auf diese Weise ein angeblich unerträgliches Missverhältnis zwischen Zuwendungs- und Wähleranteil zu konstruieren. Ähnliches gilt für die Jeweiligkeitsklausel. Das Gericht wird zu entscheiden haben, ob sie überhaupt verfassungsgemäß ist. Selbst wenn das Gericht dies bejahen sollte, darf auch die Jeweiligkeitsklausel aber nicht dafür verwendet werden, den Wähleranteil kleiner Parteien künstlich auf einen Bruchteil herunterzurechnen, wenn es um die Beurteilung des Verhältnisses von Wähler- und Zuwendungsanteil bei der Parteienfinanzierung geht.
3. Aufmerksamkeit bekommen nur die Großen
Parlamentsparteien, die ins Parlament einziehen, werden auch auf andere Weise massiv bevorzugt. Parlamentsparteien haben, wie der Senat in seinem Urteil von 1992 festgestellt hat (BVerfGE 85, 264 [294]), "im Vergleich zu den an der Sperrklausel gescheiterten Parteien größere Chancen, sich im Blick auf künftige Wahlen dem Wähler darzustellen und für ihre politischen Ziele zu werben". Der Senat hat eine Kompensation dieser Benachteiligung kleiner Parteien vorgeschlagen. Er hat angeregt, "dass dem Kriterium des Wahlerfolgs bei denjenigen Parteien, die einerseits den zu fordernden Mindeststimmenanteil erlangt, andererseits aber ein Mandat nicht errungen haben, ein relativ größeres Gewicht für die Verteilung der insgesamt an die Parteien auszuschüttenden Mittel zuerkannt wird" (BVerfG, a.a.O.). Der Gesetzgeber ist dem allerdings nur scheinbar gefolgt, als er die ersten vier Millionen Stimmen - statt mit 70 Cent - mit 85 Cent pro Stimme belohnte. Der Gesetzgeber (sprich die Schatzmeister, die dem Gesetzgeber die Feder geführt haben) hat den erhöhten Betrag nämlich - entgegen der erklärten Intention des Senats - nicht auf kleine Parteien beschränkt, sondern auch die ersten 4 Millionen Stimmen von Parlamentsparteien entsprechend belohnt, obwohl bei ihnen gar kein auszugleichender Nachteil vorliegt, sondern sie im Gegenteil die Vorteile der Parlamentspräsenz genießen.
4. Weitere Vorteile für die Etablierten
Schließlich haben sich die Parlamentsparteien im Laufe der Zeit auch noch andere gewaltige Vorteile gegenüber kleinen Parteien verschafft. Zur direkten staatlichen Finanzierung der Parteien im engeren Sinne kommt nämlich noch die staatliche Finanzierung von Parlamentsfraktionen, parteinahen Stiftungen, von Abgeordneten und ihren Mitarbeitern hinzu. Die Parteien im Parlament haben die Zahlungen an diese ihre Schwesterorganisationen in eigener Sache in großem Umfang angehoben, nachdem der Zweite Senat der staatlichen Parteienfinanzierung im engeren Sinne in der zweiten Hälfte der 1960-er Jahre Grenzen gezogen und die Einbeziehung kleiner Parteien erzwungen hatte. Die staatlichen Leistungen an Parteistiftungen wurden seitdem fast verfünfzigfacht, die Zahlungen an Bundes- und Landtagsfraktionen mehr als verdreißigfacht, so dass allein die Fraktionen und Parteistiftungen heute ein Mehrfaches an Subventionen aus der Staatskasse erhalten als die eigentlichen Parteien. Alle diese Leistungen an Schwesterorganisationen der Parteien stärken die Rolle und das Gewicht der jeweiligen Mutterparteien, erhöhen ihre Präsenz in der Öffentlichkeit und erleichtern ihnen den Zugang zu den Wählern gewaltig. Der riesig angeschwollene öffentliche Subventionsstrom an die Schwesterorganisationen der Parlamentsparteien hat bewirkt, dass die Politikwissenschaft die Trennung zwischen Parteien, Fraktionen, Stiftungen, Abgeordneten und Regierungen zunehmend für künstlich hält. So schreibt der Politikwissenschaftler und Parteienspezialist Peter Lösche: "Tatsächlich sind die Fraktionen in den Parlamenten und die Parteien in Kabinetten und Verwaltungen als finanzielle und organisatorische Ressourcen für die Parteien insgesamt (...) von zentraler Bedeutung. Gemeint sind zum Beispiel die von den Mandatsträgern und Wahlbeamten an die Partei abgeführten Sonderbeiträge. Noch viel bedeutender sind die Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter, die vor Ort die Wahlkreisbüros unterhalten und häufig mit dem örtlichen Parteisekretär nicht nur kooperieren, sondern Bürogemeinschaften bilden." Und weiter: "Das, was im Wahlkampf als Issue-, als programmatische Position einer Partei in einem bestimmten Politikbereich Wähler mobilisiert, gewinnt, aber auch abstößt, kommt nicht aus der Parteiorganisation, sondern aus der party in government. So sind die eigentlichen Machtzentren der Parteien dort zu finden, wo Ämterkumulation bei einzelnen Personen Funktionen der Parteiorganisation und der Partei in den staatlichen Institutionen, der party in government, miteinander verschränkt werden. In diesem Sinn ist es zutreffend, von einer Machtverschiebung aus der Parteiorganisation in die party in public office, von dem Entstehen von Fraktionsparteien zu sprechen.' (Peter Lösche, in: ders. [Hg.], Zur Lage des deutschen Regierungs- und Parteiensystems, 2002, 111 f.). Die Üppigkeit der staatlichen Mittel hat eine Verschiebung der politischen Gewichte von den eigentlichen Parteien hin zu den Fraktionen, Abgeordneten und ihren Mitarbeitern bewirkt. Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Radunski und viele andere bringen dies dadurch zum Ausdruck, dass sie inzwischen davon sprechen, die deutschen Parlamentsparteien seien zu "Fraktionsparteien" geworden. Von allen diesen zusätzlichen Leistungen an die Schwesterorganisationen von Parlamentsparteien, die deren Schlagkraft insgesamt gewaltig steigern, sind außerparlamentarische Parteien, wie die Antragstellerinnen, völlig ausgeschlossen.
Auszüge aus der Stellungnahme Prof. Dr. Hans Herbert von Arnims bei der mündlichen Verhandlung der ödp-Klage vor dem Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2004.