Stellungnahme von Prof. Dr. von Arnim
Statement bei Vorstellung der Organklage der ÖDP gegen den Deutschen Bundestag am 18. Juni 2012 in Karlsruhe wegen verdeckter Staatsfinanzierung der Parlamentsparteien
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Die Organklage, die ich vor einer Woche für die ÖDP beim Bundesverfassungsgericht erhoben habe, umfasst 92 Seiten; hinzu kommen 18 Anlagen. Sie geben die umfangreichen Recherchen wieder, die der Klage zu Grunde liegen.
Um den Wald vor lauter Bäumen nicht zu übersehen, möchte ich den roten Faden sichtbar machen, der die Klage durchzieht. Es geht um verdeckte staatliche Parteienfinanzierung via Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Parteistiftungen, die alle, formal getrennt voneinander, große Summen aus dem Staatshaushalt erhalten, die dann letztlich aber zum guten Teil wieder zusammenfließen. Die verschleierte Staatsfinanzierung schafft zwei große Probleme: Erstens lässt sie die Parlamentsparteien allmählich von Mitglieds- und Bürgerparteien zu Staatsparteien werden. Das widerspricht dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien. Zweitens sind die Konkurrenten der Parlamentsparteien, die kleineren außerparlamentarischen Parteien, von den zusätzlichen Ressourcen völlig ausgeschlossen. Das widerspricht dem Grundsatz der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb. In unserer Klage steht – aus prozessualen Gründen – die Verletzung der Chancengleichheit zu Lasten kleinerer Parteien ganz im Vordergrund.
Einen Verstoß gegen die Chancengleichheit hatte die ÖDP bereits mit ihrer Klage gegen die Drei-Länder-Klausel bei der staatlichen Parteienfinanzierung erfolgreich geltend gemacht. Das Gericht hat damals die große Bedeutung kleinerer Parteien für das Funktionieren der Demokratie herausgestrichen.
Bei der Gesamtbeurteilung darf man aber nicht übersehen, dass auch das Entstehen von Staatsparteien, das die Politikwissenschaft in vielen Studien beschreibt, ein Riesenproblem darstellt. Die Politikwissenschaft rechnet ohnehin die Fraktionen, die Abgeordnetenmitarbeiter und die Parteistiftungen auch begrifflich zu den Parteien. Diese sind durch das viele Staatsgeld immer weniger auf die Bürger angewiesen und verlieren allmählich ihre Bodenhaftung. Sie tendieren zu bürgerfernen Staatsparteien, die für die zunehmende Lücke zwischen Politik und Bürgern mit verantwortlich sind.
Für die Staatsrechtslehre hingegen und die Öffentlichkeit ist die Verschiebung der Parteien hin zum Staat immer noch eine terra incognita. Bekannt ist zwar, dass die Parteien staatlich bezuschusst werden, 2012 mit rund 151 Mio. Euro. Weniger bekannt ist, dass die Fraktionen sogar mehr Staatsgeld erhalten, rund 190 Mio. Euro im Jahr, davon 81 Mio. für Bundestags- und rund 109 Mio. für Landtagsfraktionen. Noch weniger bekannt ist, dass auch Abgeordneten eine große Zahl von „persönlichen Mitarbeitern“ finanziert wird; dafür stehen allein für Bundestagsabgeordnete 152 Mio. Euro zur Verfügung, so dass jeder im Schnitt zehn Gefolgsleute bezahlt bekommt und diese auch im Wahlkreis beschäftigt. Landtagsabgeordnete bewilligen sich weitere 75 Mio. Euro für Mitarbeiter. Hinzu kommen rund 98 Mio., die die parteinahen Stiftungen pauschal für ihre Inlandsarbeit erhalten – neben ihren rund 252 Mio. für Projekte, vor allem im Ausland.
Zählt man alles zusammen, aber ohne die 151 Mio., die die Parteien direkt bekommen, und ohne die 252 Mio. Euro der Stiftungen für Auslandsprojekte, so ergeben sich 515 Mio. Euro jährlich für Parlamentsfraktionen, für Abgeordnetenmitarbeiter und für die Inlandsarbeit der Parteistiftungen. Zum Gegenstand unserer Klage gegen den Bundestag konnten allerdings nur die Zahlungen auf Bundesebene gemacht werden, die 331 Mio. Euro jährlich betragen.
In den Sechzigerjahren war die Situation noch eine ganz andere. Bundestagsfraktionen erhielten damals gerade mal zwei Prozent der heutigen Summe. Abgeordnetenmitarbeiter und Globalzuschüsse der Stiftungen gab es noch gar nicht. Seitdem sind die Zahlungen förmlich explodiert.
Grafik über das Wachstum der Zahlungen an Fraktionen und Abgeordnetenmitarbeiter des Bundestags
Das Hochschießen der Staatsgelder hängt damit zusammen, dass die Parteien in eigener Sache über ihre Staatsmittel entscheiden und das Bundesverfassungsgericht in den Sechzigerjahren nur auf einen der heutigen vier „Staatstöpfe“ einen Deckel gelegt hatte. Durch Urteile von 1966 und 1968 wurde die bis dahin schnell wachsende direkte Staatsfinanzierung der Parteien begrenzt. Ein spezielles Gesetzgebungsverfahren wurde vorgeschrieben, das Erhöhungen der öffentlichen Kontrolle aussetzt; zusätzlich wurde eine Obergrenze errichtet. Die Folge war ein großangelegtes Umgehungsmanöver. Die im Parlament vertretenen Parteien umgingen nun die Barrieren, indem sie das Staatsgeld auf ihre Parlamentsfraktionen und die 1969 geschaffenen Abgeordnetenmitarbeiter sowie ihre Stiftungen und deren 1968 geschaffenen Globalzuschüsse umleiteten, sie gewaltig erhöhten und zu funktionellen Äquivalenten der gedeckelten direkten Parteienfinanzierung machten. Das konnte weitgehend ungehindert geschehen. Denn der dämpfende Effekt, der durch die öffentliche Kontrolle und die Obergrenze vom Gericht erzwungen worden war, betraf nur die direkte staatliche Finanzierung der Parteien, nicht auch die der Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeiter und Stiftungen, obwohl der Grund dafür, nämlich die politische „Selbstbedienung“ zu verhindern, auf diese genau so zutrifft. Bei Fraktionen, Abgeordnetenmitarbeitern und Parteistiftungen erfolgen Erhöhungen auch heute noch durch bloße Änderung eines Haushaltstitels, der im Gesamthaushalt leicht untergeht und auch im Gesetzblatt nicht veröffentlicht wird. Da die parlamentarische Opposition von Erhöhungen mit profitiert, hat auch sie meist kein Interesse, die Medien zu informieren. Erhöhungen verlangen – anders als bei den Diäten und der Parteienfinanzierung – keine Änderung eines speziellen Gesetzes mit veröffentlichtem Gesetzentwurf, mit erster und zweiter Beratung im Plenum des Parlaments und mit Veröffentlichung der Erhöhung im Gesetzblatt. Obergrenzen fehlen ohnehin in allen drei Bereichen.