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Persönlicher Kommentar

Wer ist das Volk?

Bei vielen Gelegenheit wird mittlerweile - in der Regel laut und unfreundlich - von einem gewissen Teil der Gesellschaft  ein bekannter Ruf aus der DDR-Endzeit vorgetragen: „Wir sind das Volk!“ 

Genau betrachtet ist dieser Ruf mit dem Grundprinzip der Demokratie nicht vereinbar. Wer mit ihm auftritt hat womöglich von der Demokratie wenig bis nichts verstanden; womöglich will er auch gar nichts verstehen. Die Demokratie gilt zwar von der Wortbedeutung her als „Herrschaft des Volkes“; gleichzeitig machen die demokratischen Verfahren wie turnusmäßige Wahlen, Regierungsbildung auf Zeit, Revidierbarkeit aller Entscheidungen (mit Ausnahme von Art. 1 und 20 des Grundgesetzes) aber deutlich, dass „das Volk“ niemals eine festzementierte Einheit, sondern immer eine bunte Vielfalt von Meinungen und Einstellungen ist. Niemand hat das Recht, zu behaupten „Ich bin das Volk!“. Das typische am Volk ist seine Nicht-Identität!  Ich selbst habe z.B. zu akzeptieren, dass in diesem Volk vielen der Klimawandel herzlich egal ist. Es wäre mir lieber, wir wären uns hier einig.  Ich habe auch zu akzeptieren, dass Artikel 14,2 („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) vielen in diesem Volk unbekannt ist. Ich muss akzeptieren, dass eben nicht alle so denken wie ich selbst. So selbstbewusst sympathisch mir der Ruf damals bei den großen Demonstrationen in der Wendezeit erschien, so erschreckend antidemokratisch erscheint er mir heute, wenn er von hasserfüllten  Menschen gegen einen Bus mit Flüchtlingen gebrüllt wird. Nein, die Schreier sind nicht das Volk. Auch die vielen HelferInnen sind nicht „das Volk“. Niemand ist das Volk, weil niemand die ganze Vielfalt der Meinungen und Einstellungen in sich repräsentiert.

Autor/in:
Bernhard G. Suttner
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