Persönlicher Kommentar
Tierwohl: Wir brauchen einen Systemwechsel!
Wie Nutztiere leben, bevor sie auf dem Teller landen, interessiert inzwischen die meisten Deutschen. Laut dem Ernährungsreport 2022* legen 66 Prozent Wert auf artgerechte Tierhaltung in der Landwirtschaft; 89% wollen Kennzeichnungen mit Angaben zu den Haltungsbedingungen.
61% der Befragten achten dabei auf das Tierschutz-Label, 60% auf das Bio-Siegel. Erstens blickt aber kaum jemand mehr bei den Kennzeichnungen durch, zweitens gibt es bei allen Siegeln immer auch kritische Aspekte. Einen Überblick findet ihr u.a. hier: https://www.test.de/
Das Bundeskabinett hat nun im Oktober 2022 einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der erstmals ein verpflichtendes Kennzeichen für die Schweinehaltung vorsieht. Vorerst bezieht sich das allerdings nur auf frisches, unverarbeitetes Fleisch, also auf 20 bis 30 Prozent. Der Rest (Wurstwaren, Fertiggerichte, Gastronomie oder ausländische Ware) muss nicht gekennzeichnet werden. Nach und nach sollen weitere Bereiche und Tierarten dazukommen. Die geplanten Haltungsformen sind in fünf Kategorien unterteilt: Stall; Stall plus Platz; Frischluftstall; Auslauf/Freiland; und Bio.**
Aber was bedeutet Bio eigentlich genau?
In der ökologischen Landwirtschaft sind die Anforderungen an die Haltung höher als in der konventionellen Tierhaltung. In der Bio-Landwirtschaft wird versucht, den Tieren ihr natürliches Verhalten zu ermöglichen. Zum Beispiel bekommen Schweine Stroh als Spielzeug, zum Schlafen und Wühlen. Liege- und Kotplätze sind voneinander getrennt. Bioschweinen steht ein Auslauf im Freien zur Verfügung und Bio-Legehennen haben in ihren Ställen Sandbademöglichkeiten und erhöhte Sitzstangen, damit sie auch voreinander fliehen können.
Zudem gibt es die flächengebundene Tierhaltung: Auf einem Biohof müssen mindestens 20 Prozent des Futters vom eigenen Betrieb oder aus regionalen Betriebskooperationen stammen, während in konventionellen Betrieben nach wie vor ein großer Teil des Tierfutters aus Soja stammt, klimabelastend importiert aus Südamerika. Dort werden dafür immer mehr Wälder abgeholzt.***
Die Haltungsform Stall aus dem neuen Gesetzentwurf hingegen entspricht nur dem aktuellen gesetzlichen Mindeststandard: Einem 50 bis 110 Kilogramm schweren Mastschwein müssen demnach 0,75 Quadratmeter Platz zur Verfügung stehen. So kritisiert etwa Thomas Schröder, der Präsident des Tierschutzbundes, eine fehlende Lenkungswirkung: „Stall bedeutet hier: ein Warmstall. Die Schweine sitzen in einem geschlossenen System ohne natürliche Luft, ohne natürliches Licht, mit Spaltenboden. Das gehört verboten und nicht gekennzeichnet.“
Von der Kennzeichnung ausgeschlossen ist beispielsweise auch die Haltung von Sauen in Kastenständen. Dabei wird die Sau über mehrere Wochen fixiert, damit sie ihre Ferkel nicht erdrücken kann. Diese Haltungsmöglichkeit ist im Bestand in Deutschland noch bis 2029 erlaubt.****
Ist Bio also die Lösung? Das Deutsche Tierschutzbüro sagt dazu: Nein. Ein Schwein in der Mast hat auch in der Bio-Tierhaltung nur 2,3 Quadratmeter Platz zum Leben und ist, statt auf grünen Wiesen, auch nur auf Betonböden untergebracht. Die Ausläufe nach draußen sind in der Bio-Haltung häufig klein und ebenfalls betoniert.*****
Ein Systemwechsel ist nötig
Auch die Europaabgeordnete der ÖDP, Manuela Ripa, fordert eine verbindliche Kennzeichnung: „Diese ist notwendig für tierische Produkte, um den Tierschutz zu verbessern. Mit meiner Partei ÖDP fordere ich seit Langem ein mehrstufiges Label zum Tierwohl, das Bilder der Haltungsform sowie klare Angaben zur Nutzung von Antibiotika, Pestiziden und genetisch modifizierten Organismen in der Tierhaltung enthält. Dies würde endlich den erforderlichen Systemwechsel weg von der Massentierhaltung hin zu weniger und gesundem Fleischkonsum befördern“. (Hier geht`s zur Diskussion mit Manuela Ripa zum Thema Food-Labelling.)
Es geht also immer auch um das Thema Transparenz: Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich beim Konsum aufgrund einfacher, klarer und verlässlicher Informationen entscheiden können. Konsumenten achten allerdings letztendlich sehr wohl auf den Preis, der bei artgerecht gehaltenen Tieren immer höher liegen wird als bei Billigfleisch aus konventionellen Massenbetrieben.
Die Schlussfolgerung: Wem etwas an Tieren und ihrer Haltung liegt, kommt nicht umher, den eigenen Konsum zu überdenken – und zu ändern. Um auf den eingangs erwähnten Ernährungsreport 2022* zurückzukommen: 61 Prozent der Befragten setzen auf einen verstärkten Konsum von pflanzlichen Alternativen, 56 Prozent auf den Verzicht auf Fleisch; 47 Prozent halten aus Insekten hergestellte Lebensmittel für gute Alternative und 26 Prozent sehen in künstlich (im Labor) hergestelltem Fleisch eine Chance für eine ausreichende Lebensmittelversorgung. Vor allem für die 14- bis 29-Jährigen ist dies mit 45 Prozent eine geeignete Maßnahme.
*https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ernaehrungsreport-2022.pdf
**https://www.br.de/radio/bayern1/haltungsformen-bedeutung-100.html
***https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/ernaehrung-konsum/fleisch/warum-bio-besser-ist
****https://www.deutschlandfunk.de/tierwohl-kennzeichen-schweinefleisch-100.html