Persönlicher Kommentar
Kleine Parteien und das Wahlrecht: Stärkt die Demokratie!
Rund 110 Parteien haben in Deutschland ihre Parteiunterlagen beim Bundeswahlleiter hinterlegt. Sie wollen "dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken" (§ 2, Abs. 1 PartG). Aber nur wenigen gelingt es, dass sie im Bundestag, dem Europäischen Parlament oder einem der 16 Landesparlamente mitwirken können.*
Viele Kleinparteien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten als Teil sozialer Bewegungen oder politischer Proteste gegründet. Die wenigsten von ihnen wurden im Laufe der Jahre groß. Dabei sind sie nicht weniger wichtig für die Demokratie: Auch abseits der Parlamente leisten viele kleinere Parteien gute und wertvolle Arbeit. So war es die ÖDP, die in Bayern das äußerst erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen“ initiierte. Auch arbeiten sich viele Parteimitglieder kleiner Parteien tief in bestimmte Themenbereiche ein, die von den großen Parteien vernachlässigt werden und bringen hier enorme Sachkompetenz mit.
Der Vorwurf, dass eine zersplitterte Parteienlandschaft die politische Arbeit behindert, hat sich in der Praxis beispielsweise im Europaparlament als haltlos erwiesen. Hier zeigt sich, dass nicht die Größe einer Partei die Mehrheitsfindung erschwert, sondern radikale Kräfte; es also eher um Demokratieverständnis geht.**
Ein schiefes Bild von Demokratie ergibt sich aber leider auch häufig bei Wahlen; so gerade wieder bei den Landtagswahlen im Saarland: Hier gingen 22,3 Prozent der gültigen Stimmen an Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Das Problem sind weniger die 23 fehlenden Stimmen der Grünen, sondern über 100.000 Stimmen, die im neuen Landtag nicht repräsentiert sein werden, weil sie für eine der 15 „sonstigen“ Parteien abgegeben wurden. Wie repräsentativ kann ein solcher Landtag denn sein?***
2019 das gleiche Bild in Brandenburg: Mehr als 100.000 Stimmen gingen an die fünf Parteien, die nicht über fünf Prozent kamen. Und diesen „sonstigen“ Parteien drohen schon im Vorfeld Wählerverluste, weil sich viele Wählerinnen und Wähler für eine andere Partei entscheiden, wenn sie nicht an einen „Erfolg“ glauben.****
Es mehren sich die Stimmen derer, die die geltende Sperrklausel kritisieren. ÖDP und Piraten fordern schon lange eine Reform des Wahlrechts. Möglichkeiten dafür gibt es: Die ÖDP schlägt ein Alternativwahlsystem vor, bei dem der Wähler durch Nummerierung der Parteien auf dem Stimmzettel festlegt, in welcher Reihenfolge seine Stimme weitergegeben werden soll, falls die von ihm bevorzugte Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Die Initiative „Mehr Demokratie e.V.“ will eine Absenkung der Sperrklausel auf drei Prozent und eine Ersatzstimme für den Fall, dass die ursprünglich gewählte Partei nicht über die Hürde kommt. Überflüssig ist jedenfalls die Diskussion darüber, in Deutschland auch für die Europawahl wieder eine Sperrklausel einzuführen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass mit einer Sperrklausel in die Stimmrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien eingegriffen werden würde.
*https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/kleinparteien/
***https://taz.de/Landtagswahlen-im-Saarland/!5841615/
****https://www.maz-online.de/Brandenburg/Wahl-Nachlese-Mehr-als-100.000-Stimmen-fuer-die-Sonstigen