Zur Hauptnavigation springen Zum Hauptinhalt springen

Persönlicher Kommentar

Gibt es „guten“ und „bösen“ Lobbyismus?

Am heutigen Welttag der sozialen Gerechtigkeit wollen wir uns der weniger bekannten Seite des Lobbyismus widmen: Der Interessenvertretung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Lobby-Arbeit an sich ist völlig legitim – politische Akteure sind z. T. darauf angewiesen, dass sich organisierte Interessenvertreter an sie wenden. Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht ausdrücklich vor, dass "Sachverständige, Interessenvertreter und andere Auskunftspersonen" öffentlich angehört werden. Bundestagsausschüsse werden in unterschiedlichem Maße von Interessenvertretern angesprochen. Problematisch wird es erst, wenn die Einflusschancen auf politische Arbeit extrem ungleich verteilt sind (beispielsweise zwischen den Erzeugern von Umweltschäden und Umweltschützern) bzw. wenn die Einflussnahme intransparent ist. Von illegalen Formen der Einflussnahme wie Bestechung mal ganz abgesehen.*

Inzwischen haben sich auch die "Gegengewichte" zur Wirtschaftslobby, etwa Umwelt- und Verbraucherverbände, professionalisiert, ebenso wie Organisationen, die sich für Transparenz einsetzen – wie Transparency International oder Lobbycontrol.

Das ist auch gut so: Non-Profit-Organisationen geben wichtige Impulse für die demokratische Entwicklung einer Gesellschaft. Von Antidiskriminierung über Gleichberechtigung bis hin zum Klimaschutz, die Organisationen vertreten die "gute Sache", nämlich zivilgesellschaftliche Anliegen.

Die wichtigste Unterscheidung zwischen klassischen (Wirtschafts-)Lobbyisten und der Interessenvertretung von NGOs liegt darin, dass letztere keine Profitinteressen haben (dürfen). Daraus ergibt sich aber auch klar ihr Nachteil: Sie haben meist viel geringere finanzielle und personelle Ressourcen, um ihre Anliegen vertreten zu können.

Der frühere Bundestagsabgeordnete Marco Bülow macht im Interview klar: Klassischer Lobbyismus geht selten eindeutig mit Bestechungsgeldern einher, eher handelt es sich um eine Art „Wohlfühllobbyismus“, bei dem Abgeordnete und Entscheidungsträgerinnen mal zum Essen, mal zu einer Veranstaltung oder in die VIP-Lounge ins Fußballstadion und damit zum informellen Gespräch eingeladen werden. All das können Non-Profit-Organisationen in der Regel nicht leisten. Der Unterschied sei hier deutlich: Die Umweltschutzorganisation tritt seltener, weniger professionell und meist ehrenamtlich – und auch deutlich kritischer – auf als der „Profitlobbyist“.**

Zwei Beispiele, die diese Diskrepanz bei den Treffen verdeutlichen: Peter Struck (SPD), ehemaliger Verteidigungsminister, traf sich alle paar Wochen mit Energieversorgungsunternehmen, aber nur einmal in vier Jahren mit Umweltschutzorganisationen, und das für nur eine Stunde und mit allen gleichzeitig!**

Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) setzte ebenfalls klare Prioritäten. 80:1 stand es bei Lobbytreffen von seinem Amtsantritt im März 2018 bis Juni 2021 zwischen Autoindustrie und Umweltverbänden. Bei Autogipfeln waren Umweltgruppen nie dabei.***

Aber natürlich sind auch NGOs nicht immer und grundsätzlich die „Guten“ im Umfeld der Interessenvertretung. Manche Politiker prangern einen zu großen Einfluss von Nichtregierungsorganisationen an. Auf jeden Fall muss man ihre Finanzierung hinterfragen dürfen, wenn z.B. Studien von großen Unternehmen finanziert werden oder sie generell eine große Nähe zu Wirtschaftsunternehmen haben.

Dennoch ist es vor allem das Ungleichgewicht, das Anlass zur Sorge gibt: Schätzungsweise 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro nehmen laut LobbyControl in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa 70 Prozent von ihnen arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände.****

Wir finden: Nur echte Transparenz kann eine ausgewogene Interessenvertretung sicherstellen. Das Lobby-Register, das vor einem Jahr endlich eingerichtet wurde, ist ein guter Schritt dazu, die Ampel-Regierung muss aber endlich die bestehenden Lücken schließen. Und: Eine absolute Konzernspendenfreiheit, wie sie die ÖDP konsequent verfolgt, schützt auch vor Einflussnahme!

 

*https://www.bpb.de/themen/wirtschaft/lobbyismus/

**https://www.hr-inforadio.de/podcast/das-interview/lobbyismus-kritiker-marco-buelow-konzerne

***https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/autoindustrie-lobbyismus-ngo-bundesregierung-1.5484277

****https://www.deutschlandfunkkultur.de/ngos-unter-legitimationsdruck-die-guten-zu-sein-reicht-100.html

Autor/in:
Anja Kistler
Zurück